Am 26. Mai 2019 waren Kommunalwahlen auf der Insel Rügen. In einigen der Gemeinde- und Stadtvertretungen gibt es nun schon seit etwas über 300 Tagen neue Mehrheitsverhältnisse. Aber was hat sich dadurch nun wirklich verändert? Ein Artikel von Inselreport.de
Was hat sich seit der Kommunalwahl verändert?
Binz (PA). Binz, das größte Ostseebad der Insel Rügen, hat bei der letzten Kommunalwahl deutliche Veränderungen bei den Mehrheitsverhältnissen in der Gemeindevertretung erlebt. Ursächlich dafür war u.a. der Bedeutungsverlust und die sich anschließende Auflösung der Wählergemeinschaft „Pro Binz“. Neben dem Wahlsieger – der Wählerinitiative „Bürger für Binz“ (BfB) – konnte vor allem eine neue Wählergemeinschaft – „aus der Mitte“ – zur letzten Kommunalwahl punkten. Mit 26,6 % bzw. 25,6% der Wählerstimmen, was der Stellung von 5 bzw. 4 Gemeindevertretern entsprach, war nun also den beiden parteiunabhängigen Wählergruppierungen nicht nur die Deklassierung der etablierten Partei-Ortsgruppen gelungen, sondern auch die Möglichkeit eröffnet worden, eigene Mehrheitsfindungen sicherzustellen.
Diese konnte u.a. dazu genutzt werden, sich gegen die bereits im Vorfeld der Wahl heiß diskutierte und umstrittene Entwicklung einer Marina in Prora zu wenden. Auch möglich wurde endlich der emissionsfreie Pendelverkehr zum Jagdschloss Granitz auf dem Tempelberg, dem ja auch eine Debatte vorausging, und die Entwicklung der Thämlitz-Halle für die Binzer Rettungsschwimmer. Zudem wurde Transparenz durch Öffentlichkeit bei Sitzungen des Hauptausschusses durchgesetzt. Seither tagen nun alle Ausschüsse öffentlich.
Zu kämpfen haben die parteilosen Bürger allerdings mit einem neuen Phänomen, welches auch aus der Saßnitzer Stadtvertretung bekannt ist: Gegen viele der mit klaren Mehrheiten verabschiedeten Beschlüsse wurden durch den Binzer Bürgermeister Karsten Schneider Widersprüche eingelegt. Damit wurde die Umsetzung vieler Beschlüsse blockiert. Bei anderen Beschlüssen besteht der Eindruck bei den ehrenamtlich tätigen Gemeindevertretern, dass diese verzögert oder in Teilen boykottiert werden. Von Seiten der Gemeindeverwaltung wird dies jedoch mit Personalmangel, Überlastung oder fehlerhaften Beschlussvorlagen begründet. Warum beispielsweise fehlerhafte Beschlussvorlagen möglich sind, dürften sich dabei nicht nur die Gemeindevertreter sondern auch immer mehr Binzer Bürger fragen. Denn: Alle in der Gemeindevertretung behandelten Beschlussvorlagen werden in der Überzahl auch in der Verwaltung erstellt. Die Beschlussvorlagen, die von Gemeindevertretern eingebracht werden, müssen bereits im Vorfeld der Sitzungen abgestimmt und ggf. bearbeitet werden.
Dass es zwischen der Gemeindevertretung und -verwaltung in Binz seit den letzten Kommunalwahlen „knirscht“, ist dabei seit Monaten offensichtlich. Doch seit dem Beginn der „Corona Krise“ kommt es zwischen der Legislative, der Gemeindevertretung die Beschlüsse fasst, und der Exekutive, die als Verwaltung diese auszuführen hat, zu weiteren Spannungen.
So wollte die Gemeindevertretung am 16. April 2020 öffentlich tagen (seit etwa zwei Wochen gibt es auf der Insel Rügen und in Stralsund keine positiv getesteten Corona-Erkrankten mehr). Dies stellte sich für die ehrenamtlich tätigen Gemeindevertreter als kein einfaches Unterfangen dar zumal sie sich des Eindrucks nicht erwehren konnten, dass ihnen für die Durchführung besonders viele „Steine in den Weg gelegt wurden“. Dabei kämpfte man mit einem Problem, welches man bisher noch nicht kannte: Die Verwaltung war abgeschlossen, Mitarbeiter nach Hause geschickt worden und an Ansprechpartnern fehlte es.
Die statt einer öffentlichen Gemeindevertretersitzung von Seiten der Verwaltung und des Städte- und Gemeindetages favorisierten Umlaufbeschlüsse hielten zudem weitere Tücken bereit: Wäre man diesem Gedanken gefolgt, hätte es an themenbezogenen Debatten und der so nicht möglichen Öffentlichkeit gefehlt. Die Demokratie wäre schlicht weg auf der Strecke geblieben. So entschied man sich – aller Widerstände zum Trotz – für eine öffentliche Gemeindevertretersitzung. Auch sollen alle in den kommenden Tagen angesetzten Sitzungen der Ausschüsse auch öffentlich – unter Einhaltung des gebotenen Schutzes der Gesundheit – stattfinden. Damit wollen die Gemeindevertreter auch ein Signal für die Mitbestimmung der Bürger setzen.
Weitaus komplizierter stellt sich die Aufgabe der Kontrolle der Verwaltung durch die Gemeindevertretung. Sie sei unter den derzeit herrschenden Rahmenbedingungen kaum noch möglich. Auch weil die praktische Anwendung der Kommunalverfassung durch die gewählten Bürger in vielen Orten kaum noch zur Anwendung käme. Die Gewaltenteilung – eines der Grundprinzipien in der Bundesrepublik Deutschland – leide darunter massiv, weil sich so das Handeln der Exekutive verselbständige. So würde es nicht verwundern, wenn Termine platzen und Vorbereitungssitzungen nicht stattfinden, weil die Verwaltung nur eingeschränkt, gar nicht arbeitet oder sogar mit völlig anderen Aufgaben – wie dem öffentlichkeitswirksamen Verteilen eines Mundschutzes – betraut würde.
Beklagen tun die Gemeindevertreter von „Bürger für Binz“ und „aus der Mitte“ aber vor allem die unsachgemäßen Anwürfe, die ihnen Vorteilnahme unterstellten. Sie fühlten sich nach wie vor der Sacharbeit verpflichtet. So sei beispielsweise der Vorschlag für Frau Michalski als stellvertretende Bürgermeisterin erfolgt, weil sie für diese Funktion geeignet sei. Dass ihr diese Eignung nun vom Bürgermeister abgesprochen wird, nur weil ihr Mann nun nicht mehr in der ehemaligen Wählergemeinschaft „Pro Binz“ sondern in der Wählergemeinschaft „aus der Mitte“ mitarbeite, entbehre nicht einer gewissen Komik. Binz sei nun einmal ein Ostseebad wo fast jeder jeden kennen würde. Da weiß man, wer wirklich dem Gemeinwohl verpflichtet sei und wer nicht. Letztlich muss sich jeder den Gesetzen und den Regeln unterwerfen. Alles andere, so die Gemeindevertreter von „Bürger für Binz“ und „aus der Mitte“. Alles andere sei Willkür. Und diese gelte es auch weiterhin zu bekämpfen.
Quelle: Inselreport.de